Theaterstück „AlkoHölle“ und Fachkräfte für Sucht an der Sekundarschule Pr. Oldendorf
Manchmal muss man sich auch schon nach 10 Jahren den eigenen Staub aus den Gewändern klopfen. Aus diesem Grund wurde die schon seit langer Zeit bestehende Suchtprävention an der Sekundarschule inhaltlich und konzeptionell von den Schulsozialarbeiter*innen Janin Gilbert und Thorsten Klötzel überprüft, modifiziert und auf neue Beine gestellt. Das Ziel war hierbei ganz klar: größere, schüler*innenorientierter und komplexer aufgestellte Präventionseinheiten für die Jahrgänge 8 und 9.
Hierzu arbeitete die Sekundarschule erstmalig mit verschiedensten interdisziplinären Fachkräften aus dem Bereich Sucht zusammen, die ihr breit gestreutes Fachwissen und ihren oftmals jahrelangen Erfahrungsschatz an die Sekundarschule mitbrachten und für die Schüler*innen der Jahrgänge 8 und 9 ausbreiteten. Ein wahrer Markt der Möglichkeiten tat sich hierbei auf, der ohne die finanzielle Förderung der Boesken-Stiftung in der Form nicht möglich gewesen wäre.
An den Suchtpräventionstagen durchliefen die Schüler*innen in zuvor festgelegte Kleingruppen im Doppelstundenrhythmus die einzelnen Stationen. Für 6 Klassen standen insgesamt 12 in sich völlig unterschiedliche Stationen zu Verfügung, in denen es um verschiedenste Inhalte und Themen rund um das Oberthema „Sucht“ ging.
So wurde neben den im Lehrplan festgeschriebenen und durch die Lehrkräfte vermittelten Basisinformationen noch ganz viel weiteres Hintergrundwissen aus unterschiedlichsten Blickwinkeln und Ansatzpunkten aufbereitet. Natürlich können Lehrer*innen und Suchtpräventionskräfte über die Folgen von jahrelangem und krankhaftem Alkoholmissbrauch referieren, können ihre Erfahrungen und ihr theoretisches Wissen ins Spiel bringen, aber die Schilderungen aus dem Mund trockener Alkoholiker (Jörg Moog, Selbsthilfe PrO & Karl-Heinz Wesemann, Freundeskreis Blasheim), zweier Menschen, die im Leben schon einmal alles erreicht hatten und durch die Alkoholsucht so abgestürzt sind, dass sie hieran fast gestorben sind, ihre Familien, gesellschaftlichen Privilegien und sozialen Status komplett verloren haben, die klingen einfach intensiver und im Nachgang auch wesentlich länger nach, da sie die Schülerschaft mit Emotionen packten.
Auch die Frage, wie Sucht und berauschender Substanzmittelgebrauch im Zusammenhang mit Straftaten stehen wurde an mehreren Stellen ausgiebig mit den Schüler*innengruppen diskutiert. Hierzu trafen sie auf Doris Rohlfing (Polizei Minden, Abteilung für Kriminalprävention) und Vertreter der JVA Herford (Uwe Flaake, Bereichsleitung Sozialtherapie und Klaus Mischke und Thomas Brungs, Suchtkrankenhelfer), die Rede und Antwort auf viele bereits im Vorfeld vorbereitete Fragen standen. Besonders ergriffen zeigten sich die Jugendlichen von den Schilderungen über anonymisiert Inhaftierte und die typischen kriminellen „Karrieren“, die einer Inhaftierung oftmals vorausgehen und die auch häufig im Rausch erfolgen. „Viele von unseren Inhaftierten haben in der Therapie für sich erkannte, dass sie ohne Alkohol und Drogen“, so Uwe Flaake, „ihre Taten sicherlich nicht begangen hätten. Heute wissen sie, dass sie sich für stark und unbesiegbar hielten, obwohl sie in Wirklichkeit Sehnsucht nach Anerkennung und wahrer Freundschaft hatten.“
Lennart Schuster aus der Stern-Apotheke Lübbecke kam mit einer von den Apotheken erarbeiteten Präventionseinheit im Rahmen von „Apotheke macht Schule“ mit den Jugendgruppen in den Austausch. Er brachte hierzu „Promille-Brillen“ mit, anhand derer ein Alkoholrausch simuliert wurde. Zusätzlich wurde über „Mixgetränke“ und welche Inhaltsstoffe wie z.B. Zucker in den Getränken, besonders in den gesüßten „Alkopops“, vorhanden und welchen Mengen an Alkohol in ihnen zu finden sind. Auch Cannabis und die damit einhergehenden schädlichen Auswirkungen besonders bei Jugendlichen machte er zum Thema. Die Erkenntnisse führten in den unterschiedlichen Jugendgruppen immer wieder zu durchaus gewollten Aha-Effekten und bilden die Basis für ein Umdenken der jugendlichen Trink- und Konsumgewohnheiten.
Das aktuell viel und kontrovers diskutierte Thema Cannabis stand auch bei Stadtjugendpfleger Andreas Keller und der pädagogischen Fachkraft Carmen Kuhlmann im Vordergrund. Sie boten den Teilnehmer*innen mit der interaktiven Methodenbox „Wenn Finn kifft“ der Drogenhilfe Köln die Möglichkeit, sich den Gefahren und Risiken des Cannabiskonsums zu nähern. Das Besondere hierbei war der Verlauf der selbstgewählten Spielgeschichte, da diese sich maßgeblich anhand der Entscheidungen der Spieler*innen entsprechend veränderte. Hierbei waren die Teilnehmer*innen gefragt und gefordert, um in der Gruppe Entscheidungen zu diskutieren, in denen der sich immer wieder mit Situationen, in denen Cannabis ein Thema ist, konfrontierte Finn gegenüberstehen sah. Die Entscheidungen über den Lebensweg von Finn war somit also abhängig von den Entscheidungen der Gruppe, ebenso, wie auch der eigene und individuelle Weg abhängig von der eigenen Entscheidung über den Umgang mit Suchtmitteln ist.
Weitere Gäste kamen aus der Mindener Drogenberatungsstelle (Jessica Hallas & Tim Jendrny) und dem Gesundheitsamt Lübbecke, Abteilung Suchtberatung / psychosozialer Dienst (Fr. Otto). Sie erarbeiteten mit den Jugendlichen u.a. die Fragen „Was führt zur Sucht“ und „Was ist Sucht?“, und zeigten anhand vorgefertigter Ereigniskarten einen oftmals klassischen Suchtverlauf auf. Zusätzlich wurde darüber informiert, wie jede*r sich schnell ein eigenes Konsumprofil erstellen kann, was Konsummuster und -motive sind, und wie jede*r auf sich und seine Mitschüler*innen / Mitmenschen achten kann. Die vieldiskutierte Frage nach dem, was der Einzelperson im Leben wichtig ist, welche Ziele und Ideen sie für die eigene Zukunft hat, wo sie sich in 10 Jahren sieht und welche Ressourcen der Einzelne im Leben im Rahmen von Self-care-Mechanismen mit einfachen Mitteln für sich aktivieren kann, nahm einen großen Anteil im Gespräch ein.
Neben den klassischen Süchten im Bereich des Substanzgebrauches wurden jedoch auch die durch Social Media oftmals gepushten Bereiche des Körperkultes und Schönheitswahns, oftmals einhergehend mit Essstörungen, wie auch der Onlinesucht angesprochen. Hierzu brachten Fr. Föst und Fr. Fromme (Familienberatungssstelle der Diakonie) und Melina Oetting (Medienwerkstatt) ihr Know How aus den entsprechenden Bereichen mit. Im Kontakt war eine häufig gestellte Frage, „Warum kann ich manchmal nicht aufhören, ein Video nach dem anderen zu gucken und warum schaffe ich es nicht, mein Handy wegzulegen?“ Wichtig, neben vielen anderen Aussagen, war die klar formulierte Botschaft, dass kein Junge und kein Mädchen sich an den TikTok- und Instagram-Videos orientieren soll, da diese fast immer mit entsprechenden Filtern produziert wurden und mit Realität in der Regel wenig zu tun haben. „So wie du bist, so bist du gut“, war die klare Aussage.
Self-care und bewusst gesetzte Auszeiten als eine wichtige Form der Suchtprävention wurden den Schüer*innen vom Sekundarschullehrer Christian John aufgezeigt. Er übte mit den Kleingruppen Entspannungs- und Auszeitübungen ein, die ein guter Gegensatz zu dem häufig stressigen und von Anforderungen geprägten Alltag, sowohl schulisch als auch privat, darstellen. Die Gruppen lernten, mit minimalem Aufwand einen für sich großen Ertrag an Kraft und Energie nachzutanken, sich kurz zu resetten. Diese Fähigkeit ist elementar wichtig, um nicht immer auf der Suche nach dem nächsten Kick und dem nächsten Rausch zu sein oder nach dem vermeintlich nächsten Höhepunkt zu streben, da sie ebenfalls Endorphine und Glücksgefühle freisetzt, ganz ohne schädliche und langfristige Nebenwirkungen und negative Begleiterscheinungen.
Was die „Frühen Hilfen“ des Kreis Minden-Lübbecke, vertreten durch Finja Brüske und Manuela Becker, auf einem Suchtpräventionstag zu suchen hatte, dass erschloss sich den Jugendlichen, als diese von ihrer Arbeit berichteten, in der sie zwischendurch Kontakt zu Kindern haben, die mit dem fetalen Alkohol-Syndrom (FAS) geboren wurden. Sie machten deutlich, wie schädlich u.a. Alkohol in der Schwangerschaft ist und wie schnell es zu entsprechenden Erkrankungen und lebenslangen Schädigungen des noch ungeborenen Kindes kommen kann. Auch wenn der Zeitpunkt der Familiengründung für die Sekundarschüler*innen noch nicht gekommen ist, so wurde doch deutlich, dass viele zukünftige Eltern dieses Thema mit viel Interesse und Respekt für sich in den Blick genommen haben. „Ich verlange von meiner späteren Frau“, so ein Schüler des Jahrgangs 8, „dass sie absolut nichts während der Schwangerschaft trinkt. Um sie hierbei zu unterstützen, werde ich einfach gemeinsam mit ihr auf Alkohol verzichten, da ich nichts verlangen kann, was ich selbst nicht einhalte.“
Das abschließende Theaterstück „AlkoHölle“ von Theaterspiel aus Witten brachte viele der zuvor erlebten Einzelthemen noch einmal gebündelt und sowohl witzig als auch zum Nachdenken anregend auf die Bühne. Zwischendurch grölte das aus rund 140 Schüler*innen bestehende Publikum in der Aula der Sekundarschule vor Lachen, dann wiederum wurden sie so in den Bann gezogen, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Das Theaterstück zeigte noch einmal ganz deutlich den schmalen Grat zwischen Selbstbetrug und Sucht auf und regte zum Überdenken des eigenen Alkoholkonsums an.
„Uns ist das Thema der Suchtprävention ein wichtiges Anliegen“, so Christian Schäffer, Leiter der Pr. Oldendorfer Sekundarschule, „da Alkohol und Zigaretten für Kinder und Jugendliche oftmals der erste Kontakt zu den klassisch substanzgebundenen Suchtmitteln sind. Wenn sie frühzeitig die Risiken und Gefahren abschätzen können, wenn sie in ihrer Peer-Group den notwendigen Rückhalt haben, auch wenn sie „Nein“ sagen und sie dabei, auch mit unserer Hilfe, zu gefestigten Persönlichkeiten mit einer eigenen, gesunden und gut durchdachten Willensentscheidung werden, dann können wir den Weg dafür bereiten, dass sie nicht in die oftmals klassische Suchtfalle hineingeraten. Ich freue mich darüber, dass die Suchtpräventionstage von den unterschiedlichen Vertreter*innen der einzelnen Fachstellen und dem Kollegium dieser Schule mit ganz viel Herzblut und Engagement für die eigene Sache mitgestaltet und belebt wurden und danke der Boesken-Stiftung für ihre finanzielle Unterstützung.“